Samstag, 7. August 2010

LHC - Large Hadron Collider

Kein Blog über das CERN wäre komplett, ohne auch ein paar Worte über das Schmuckstück des CERNs zu schreiben: Den Large Hadron Collider, der vor gut vier Monaten die ersten Daten für die Teilchenphysik geliefert hat. Allerdings gibt es schon zahlreiche Quellen, die den LHC und seine technische Daten beschreiben und dabei auch die Verständlichkeit nicht außer Acht lassen (zum Beispiele eine Broschüre, die direkt vom CERN herausgegeben wird).
Der LHC ist ein Beschleunigerring mit einer Länge von 26.659 Metern. In ihm werden Protonen bis zu einer kinetischen Energie von 7 Tera-Elektronenvolt (7 x 1012) beschleunigt (momentan werden aus Gründen, die mit der Sicherheit der Maschine zu tun haben, "nur" 3.5 Tera-Elektronenvolt erreicht. Ein Elektronenvolt ist dabei die Energie, die ein Elektron erhält, wenn es durch eine Spannung von einem Volt beschleunigt wird). Dies entspricht einer Geschwindigkeit von 99.9999991% der Lichtgeschwindigkeit im Vakuum. 
Zum Vergleich: Der Elektronenstrahl in einem Röhrenfernseher hat eine kinetische Energie von rund 20 kilo-Elektronenvolt (20 x 103).
Um die Protonen auf der Kreisbahn zu halten, benötigt man Dipol-Magnete. Im Falle des LHC sind dies 1232 Stück, die auf eine Temperatur von 1,9 Kelvin (-271,3°C) gebracht werden. In diesem Zustand sind diese Elektromagnete supraleitend, das heißt sie haben keinen ohmschen Widerstand mehr, was hohe Ströme (bis zu 12.000 Ampere) ermöglicht - diese werden auch benötigt, denn um die Protonen bei diesen Energien auf eine Kreisbahn zu zwingen, wird ein magnetisches Feld von über 8 Tesla benötigt (mehr als 100.000 mal stärker als das magnetische Feld der Erde). Ohne supraleitende Technologie wäre ein solcher Beschleuniger nicht möglich. Wollte man eine vergleichbare Maschine mit konventionellen Magneten bauen, hätte diese einen Umfang von über 120 km und würde über 30x soviel Energie verbrauchen.
Fokussiert wird der Protonenstrahl mit Hilfe von Quadrupolmagneten. Diese funktionieren wie Linsen, die man aus der Optik kennt - trifft der Protonenstrahl nicht zentral auf die Linse, wird er in Richtung des Brennpunktes abgelenkt. Von diesen gibt es im LHC 392.
Die Protonen laufen aber nicht völlig ungeordnet durch den Ring - sie werden zu Gruppen, den so genannten "Bunches", zusammengefasst. In jedem solchen Bunch befinden sich bis 115 Milliarden Protonen und in jedem der zwei Strahlen gibt es bis zu 2808 Bunches (sobald die Maschine mit voller Intensität läuft - dies wird aber nicht vor 2013 passieren). In vollem Betrieb befinden sich also bis zu 646 Billionen Protonen in der Maschine - jedes einzelne mit einer Energie von 7 TeV. In "Alltagseinheiten" umgerechnet entspricht dies einer Energie von 724 Mega-Joule. Anschaulicher: Das ist die kinetische Energie eines 400 Tonnen schweren Zuges bei 215 km/h Geschwindigkeit oder (etwas destruktiver) die Sprengkraft von 150 kg TNT. Alternativ kann man mit beiden Strahlen zusammen auch knapp eine Tonne Kupfer zum Schmelzen bringen.
Die beiden Strahlen können an insgesamt vier Punkten - genau an den vier (großen) Experimenten ATLAS, CMS, ALICE und LHCb - zur Kollision gebracht werden.

Von diesen Daten ist der LHC allerdings aus technischen- und Sicherheitsgründen noch entfernt. Zur Zeit läuft er nur mit halber Energie und anstatt 2808 befinden sich "nur" maximal 25 Bunches pro Strahl in der Maschine. Den aktuellen Status kann man jederzeit und von überall her auf der "LHC Page 1" (siehe Link rechts) verfolgen. Es folgen einige Screenshots, die eine Art "Walkthrough" für das Verstehen des Status-Displays sein sollen. Ich zeige beispielhaft die Operation des LHC in der Nacht vom 29.07. auf den 30.07.. In dieser Zeit gab es Protonen in der Maschine, die wirklich Kollisionen für die Experimente liefern sollten (und nicht zum Beispiel für Messungen und Entwicklung des Beschleunigers gedacht waren).
Wir arbeiten uns durch das Bild von oben nach unten: Die obere Zeile gibt die Nummer des Fills  in der Maschine (für Referenzzwecke), die aktuelle Energie des Teilchenstrahls (in diesem Moment 1,962 TeV) und die/das aktuelle Zeit/Datum. Das blaue "Band" darunter gibt Auskunft über die aktuelle Einstellung der Maschine. "Proton Physics" heißt, dass der jetzige Fill für die Experimente gedacht ist und Daten liefern soll. Eine andere Einstellungen ist zum Beispiel "Machine Development" - in dieser Einstellung wird der Strahl nur verwendet, um Messungen durchzuführen oder neue Einstellungen auszuprobieren. Der Zusatz "Ramp" bedeutet, dass zur Zeit, langsam, die Strahlenergie erhöht wird.
Der Graph darunter fasst drei Werte zusammen: Blau ist die Anzahl der Protonen im ersten Strahl, Rot die Anzahl der Protonen im zweiten Strahl und schwarz die Energie der Teilchenstrahlen - jeweils aufgetragen gegen die aktuelle Uhrzeit. Um 20:45 sieht man, wie damit begonnen wird, Protonen in die Maschine einzuleiten. Die "großen" Stufen sind dabei jeweils 4 Bunches zu 90 Milliarden Protonen, die "kleinen" Stufen sind ein Bunch zu 90 Milliarden Protonen. Insgesamt sind dann um kurz nach 21:00 die 25 Bunches pro Strahl in der Maschine. Es folgen einige Minuten kleinerer Messungen und Korrekturen am Strahl. Um 21:15 wurde dann damit begonnen, die Strahlenergie anzuheben - von 450 GeV am Anfang bis zu den 1962 GeV zum Zeitpunkt der Aufnahme.
Links unten finden sich Kommentare von den verantwortlichen Personen aus dem CERN Control Center - beispielsweise als Informationen für die Experimente. Hier gibt es drei Hinweise: Der erste gibt an, dass die Strahlenergie gerade erhöht wird, der zweite gibt an, wie die Maschine mit Bunches gefüllt wurde (25 Bunches pro Beam, 16 davon kollidieren an den Kollisionspunkten 1/5, 16 in Punkt 2 und 16 in Punkt 8 - an diesen Punkten sitzen die Experimente). Der dritte Hinweis ist für die Experimente. Da nur 25 von 2808 Bunches in der Maschine sind, gibt es Informationen darüber, wo die Bunches in der Maschine zu finden sind und an welchen Zeiten die Experimente mit Kollisionen rechnen können.
Das letzte "Viertel" gibt einige technische Informationen: Die Einstellung "true" bei "Link Status of Beam Permits" sagt aus, dass bei Problemen beide Strahlen aus der Maschine entfernt werden und nicht nur der, bei dem es zu Problemen kommt. "Global Beam Permit" gibt an, ob ein Strahl in der Maschine sein darf. "Setup Beams" gibt an, ob es einen Strahl für den LHC in den Injektoren gibt. "Beam Presence" ist selbsterklärend. "Moveable Devices Allowed In" gibt an, ob empfindliche, bewegliche Teile von Experimenten in die Nähe des Strahls dürfen (das heißt, ob es sicher ist oder ob es noch zu Veränderungen am Strahl kommen kann). In eine ähnliche Richtung geht "Stable Beams": Dies wird aktiviert, wenn das Control Team "die Finger von der Maschine" lässt und sich nichts mehr an dem Strahl ändert. Dann dürfen die Experimente die empfindlichsten Detektoren einschalten, ohne Schäden befürchten zu müssen.
Eine halbe Stunde später: Die volle Energie von 3,5 TeV wurde erreicht ("Flat Top"). Die Comments-Section kündigt an, dass der Beam in kürze "gesqueezed" wird. Das bedeutet, dass die Ausdehnung der Bunches an den Kollisionspunkten um ein vielfaches komprimiert wird, um möglichst viele Kollisionen zu erreichen.
Und kurze Zeit später tun sie genau dies ("Squeeze").
Der letzte Schritt vor den Kollisionen: Die Strahlen sind an den Kollisionspunkten einige Zentimeter voneinander entfernt, bevor sie in die "richtige" Richtung gesteuert werden. Diese Einstellung wird als "crossing angle" bezeichnet und hier eingestellt.
Stable Beams! Die Maschinen-Operatoren haben ihre Arbeit getan und können sich jetzt zurücklehnen - nun ist es an den Experimenten, Daten zu sammeln und sie auszuwerten. In der Mitte links ist weiterhin der Plot Energie und Intensität-gegen-Zeit. Dazugekommen ist ein Plot, der die "Instantaneous Luminosity" zu jedem Zeitpunkt angibt. Grob gesagt kann man dies mit der Kollisionsrate bei dem jeweiligen Experiment vergleichen. Diese ist von vielen Faktoren abhängig. Die Anzahl der Protonen pro Bunch, die Anzahl der Bunches, die Ausdehnung der Bunches (d.h. wie gut "gesqueezed" wurde) und noch einiges mehr. Momentan erreicht der LHC etwa 2-3x1030 (cm)-2(s)-1 (eine etwas merkwürdige Einheit, in der dies gemessen wird). In vollem Betrieb in etwa drei Jahren wird dieser Wert noch um einen Faktor 10.000 wachsen.
 Am frühen Morgen um etwa 7:30 ist leider das Ende des Fills erreicht. Ein Messsystem für Strahlverluste ("Beam Loss Monitor") hat Alarm geschlagen und beide Beams wurden "entsorgt". Man sieht gut, wie danach die Energie (d.h. die Stromstärke in den Magneten) wieder auf Standardniveau abgesenkt wird, um für die nächste Injektion vorzubereiten. Die Kommentare verraten, dass nun erst einmal Tests durchgeführt werden. Die nächste Protonen für die Experimente kommen erst wieder am Nachmittag (a.k.a. "sollen kommen").
Hier in der Mitte sieht man den gesamten zeitlichen Verlauf von der Injektion bis zum Entsorgen der Strahlen. Etwa 8 Stunden Daten für die Teilchenphysik!

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